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Über den Trauerfall (2)
Hier finden Sie ganz besondere Erinnerungen an Umberto Eco, wie z.B. Bilder von schönen Momenten, die Trauerrede oder die Lebensgeschichte.
Beerdigung eines Universalgelehrten
24.02.2016 um 14:09 Uhr von TrauerItalienische Würde
24.02.2016 um 14:01 Uhr von TrauerEr war der italienische Intellektuelle schlechthin. Viel mehr noch als das: Ein großer europäischer Denker. Ein Geistmensch, der völlig im Leben stand. Nur bei Silvio Berlusconi verstand er keinen Spaß. Umberto Eco ist im Alter von 84 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben.
Von Frank Pommer
Vielleicht darf man sich Umberto Eco als eine Bibliothek vorstellen. Das wäre dann einfach noch mehr als nur ein Homme de lettre. Ein Universalgelehrter, mindestens. Irgendwie aus einer ganz anderen Zeit stammend. Aus dem Barock beispielsweise, das solche Büchermenschen noch kannte. Aus der Renaissance, als Denker noch das vermeintlich gesamte Weltwissen in sich vereinen konnten.
Der „Zeit“ hat Umberto Eco einmal in einem Interview gesagt: „Alle meine Bücher handeln von Büchern. Wäre ich Strauss-Kahn, meine Bücher handelten von Sex. Wäre ich Berlusconi, sie handelten von Geld.“ Ein Mann der Bücher. Und noch viel mehr. Wissenschaftler, Philosoph, streitbarer Publizist, schonungsloser Kulturkritiker, Kinderbuchautor. Es kommt nicht so oft vor, dass sich so vieles in einem Menschen, in einem einzigen klugen Kopf zusammenfindet.
Italien jedenfalls, mit seinem überreichen, überlangen kulturellen Erbe, ist der fruchtbare Boden, dem solche Ausnahme-Intellektuellen entwachsen. Konkret war es bei Eco die Stadt Alessandria in Piemont. Dort wurde er am 5. Januar 1932 in eine kleinbürgerliche Familie als Sohn eines Buchhalters geboren. Der Vater wünschte eine Juristenlaufbahn für den Sohn, der zog Philosophie und Literaturwissenschaft vor, arbeitete beim Fernsehen, dann im Mailänder Verlag Bompiani und wurde schließlich als Professor für Semiotik an die berühmte Universität von Bologna berufen.
Aber natürlich, trotz aller Geistesschärfe, aller brillanten Intellektualität, über allem steht und thront: „Der Name der Rose“, 1980 erstmals erschienen, zwei Jahre später auf Deutsch, dann in quasi allen Sprachen. Ein Welterfolg, dieser Romanerstling Ecos, erst Recht nach der Verfilmung durch Jean-Jacques Annaud und mit Sean Connery in der Hauptrolle des William von Baskerville. Ein im wahrsten Sinne des Wortes fantastisches Buch. Ein historischer Kriminalfall, in einem Kloster spielend, wo Menschen wegen eines Aristoteles-Buches ermordet werden. Wie später in „Das Foucaultsche Pendel“ (1988) oder in „Baudolino“ präsentiert sich Eco in seinem Welterfolg als großartiger Erzähler, dem offensichtlich keine Grenzen gesetzt sind. So überbordend, so plastisch-farbenreich, so fantasievoll, so prall-lebendig war es jedenfalls in der europäischen Literatur lange nicht mehr zugegangen. Und zugleich so spannend. Eco liebte Krimis, und er stand zu dieser Liebe. Seinen Büchern merkte man dies an.
Zugleich aber gab es in „Der Name der Rose“ eine zweite, dritte, vierte Ebene hinter, neben, unter der erzählten Handlung. Er schichtete einen wahren Turm von Meta-Ebenen auf, versteckte Zitate, kommunizierte aus dem Mittelalter mit seiner Gegenwart, montierte Literarisches zu Literatur neu zusammen. Es gibt eine Nachschrift zum „Namen der Rose“. Darin erläutert er seine Techniken. Man liest damit den Roman nochmals ganz anders. Ganz neu. Und bestätigt damit den Autor, der bereits sehr früh, in seiner Schrift „Das offene Kunstwerk“ (1962), eine zentrale ästhetische Kategorie nicht nur seiner, sondern überhaupt der modernen Kunst formuliert hat: die Offenheit.
Das Kunstwerk als Leerstelle, in welche der Rezipient hineinzustoßen hat. Es entsteht quasi abschließend erst in dem Moment, in dem ich es lesend, hörend, sehend verstehe. Immer neu, immer anders. So, wie in Ecos Zeichentheorie alles, jede kulturelle und soziale Behauptung auch einen symbolischen, eben zeichenhaften Charakter hat, so verweist in seiner Ästhetik jedes Kunstwerk über sich hinaus auf eine symbolische Bedeutungsebene, die sich erst der Rezipient und Interpret erobern kann.
Doch einem Umberto Eco war dieser philosophisch-ästhetische Elfenbeinturm als einzige Wohnstatt auf Dauer dann doch zu unsinnlich. Zu wenig nah am Leben. Hinaus ins Stripteaselokal. Zur Not mit Platon, wenn’s denn hilft. „Platon im Stripteaselokal“ jedenfalls ist eine seiner berühmtesten, ebenso witzigen wie geistreichen Glossen überschrieben. Der nie dogmatische denkende, aber immer überzeugte Linke – rechte italienische Intellektuelle sind irgendwie auch eine eher seltene Gattung – hat unzählige davon geschrieben, in zahlreichen italienischen Magazinen und Zeitungen. Er war stets präsent im öffentlichen Leben Italiens. Sein Wort fand Gehör. Ein Geistmensch, der mitten im Leben zwischen Fußballhysterie und Pastaleidenschaft stand. Völlig ohne Berührungsängste. Nur bei Silvio Berlusconi, da hörte für Umberto Eco der Spaß auf.
Die schärfste Waffe gegen Dummheit und Populismus ist immer noch der Geist. Eco wusste das. Und er wurde nicht müde, Berlusconi und dessen Politik zu geißeln, gründete sogar eine Art Widerstandsgruppe mit dem Namen „Libertà e Giustizia“. Eco konnte Berlusconi nicht verhindern aber er rettete die Würde Italiens, wenn man von Bunga-Bunga-Silvio wieder besonders peinlich berührt war. In Deutschland haben wir genügend Gestalten, die noch peinlicher sind als Berlusconi. Einen Eco haben wir leider nicht, und auch in Italien hinterlässt er eine riesige Lücke.