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Vertieft in die Musik
21.12.2015 um 12:55 Uhr von TrauerKurt Masur - Taktgeber der Musik und der friedlichen Revolution
21.12.2015 um 12:47 Uhr von TrauerVon Birgit Zimmermann, dpa
Die internationale Musikwelt trauert um einen großen Künstler. Kurt Masur ist tot. Der Dirigent war ein Taktgeber renommierter Orchester - und der friedlichen Revolution in der DDR.
Die Musik war für den Dirigenten Kurt Masur mehr als nur ein Beruf. „Wenn man alle Menschen der Welt in einen Konzertsaal setzen könnte, würden sie zumindest für zwei Stunden friedvoll sein“, sagte er einmal. Dass Masur in der Kunst aufging, aber sich nicht darin vergrub, bewies er am 9. Oktober 1989. Als Kapellmeister des Gewandhauses sprach er den berühmten „Aufruf der Leipziger 6“ und rief vor der großen Montagsdemonstration zur Gewaltlosigkeit auf. Der Appell gilt als entscheidend für den friedlichen Verlauf der Revolution in der DDR. Am Samstag ist Leipzigs Ehrenbürger Kurt Masur im Alter von 88 Jahren in den USA gestorben.
Der in Schlesien geborene Masur begann schon mit fünf Jahren, sich selbst das Klavierspiel beizubringen. Eigentlich wollte er Organist werden. Doch als 16-Jähriger erfuhr er beim Arzt, dass seine Finger wegen einer genetischen Sehnenverkürzung im Laufe der Zeit verkrüppeln werden. Er sattelte aufs Dirigieren um. Masur studierte an der Musikhochschule Leipzig, bekam dann Kapellmeister-Jobs in Halle, Erfurt und an der Leipziger Oper, war Chefdirigent bei Walter Felsenstein an der Komischen Oper Berlin sowie Chefdirigent bei den Dresdner Philharmonikern.
Im August 1970 trat der Ingenieurssohn in die Fußstapfen von Felix Mendelssohn Bartholdy - als Kapellmeister des Leipziger Gewandhauses. 27 Jahre sollte er dort wirken. „Ich bin mit den Musikern gewachsen. Es war ein Geschenk, ein gegenseitiges Geben und Nehmen“, sagte er später. Masur prägte den besonderen Klang des Gewandhausorchesters, absolvierte mit dem Ensemble 900 Tourneekonzerte; zu DDR-Zeiten auch im „kapitalistischen Ausland“. 1981 erfüllten ihm die DDR-Oberen sogar den Traum einer neuen Spielstätte. „Ich wurde ausgelacht, als ich sagte, das neue Gewandhaus wird gebaut“, erzählte Masur. Das Gewandhaus, einziger Konzerthaus-Neubau der DDR, wurde gebaut.
Im Herbst 1989 wurde das Gewandhaus zu einem Ort der Redefreiheit. Masur nahm dort zusammen mit dem Kabarettisten Bernd-Lutz Lange, dem Theologen Peter Zimmermann sowie drei SED-Parteisekretären den „Aufruf der Leipziger 6“ auf. Sie appellierten an die Demonstranten und an die Sicherheitskräfte, Besonnenheit walten zu lassen. „Wir wollten einen Beitrag zur Entspannung leisten“, erinnerte sich Bernd-Lutz Lange. Masur sei entschlossen gewesen. „Es war eine ganz besondere Stimmung in der Stadt. Jeder wusste, das wird der Tag der Entscheidung.“ Tatsächlich blieb die Demonstration der 70 000 friedlich - es war der Anfang vom Ende des SED-Regimes.
Diese prägende Rolle des DDR-Nationalpreisträgers bei der Revolution hob auch Bundespräsident Joachim Gauck hervor. „Viele Menschen werden niemals vergessen, wie er sich im Herbst 1989 für grundlegende Veränderungen in der DDR, für die Freiheit der Menschen und die Demokratie eingesetzt hat.“ Masur selbst hatte in einem Interview gesagt: „Es ist nicht mehr nachvollziehbar für jene, die es nicht miterlebt haben, was damals geschehen ist. Man kann es nicht erklären, aber etwas ist geblieben: der Geist der Leipziger Erneuerung.“
1996 verließ Masur das Leipziger Gewandhaus - und blieb den Konzert-Bühnen der Welt treu. Als Star wollte der vielgefragte Maestro aber nie bezeichnet werden. „Der Unterschied zwischen einem großen Musiker und einem Star ist eklatant“, meinte der Dirigent, der über sich sagte, er sei scheu und gehemmt - und der immer an seiner musikalischen Vollkommenheit zweifelte. Weggefährten wie Bernd-Lutz Lange schildern Masur als bodenständig. Statt sich auf die Gästeliste setzen zu lassen, habe Masur auch mal für den Kauf einer Kabarettkarte angestanden.
Noch als über 80-Jähriger tourte der Dirigent neun Monate im Jahr um die Welt. „Es hält mich fit, wenn ich weiß, morgens um 10 Uhr ist Probe. Soll ich aufhören und auf den Tod warten?“, sagte der Maestro. Auch nach einem Sturz im Frühjahr 2012 in Paris, bei dem er sich das Schulterblatt gebrochen hatte, kehrte er an das Pult zurück. Anfang 2013 brach sich Masur in Tel Aviv bei einem erneuten Sturz die Hüfte und musste operiert werden. Eine Parkinson-Erkrankung, die er selbst öffentlich machte, setzte ihm jedoch zunehmend harte Grenzen.
Ein bedeutendes Anliegen war ihm bis zuletzt der künstlerische Nachwuchs. Er gab Meisterklassen für junge Dirigenten. Als junger Mensch sei er ein Idealist gewesen, erzählte Masur Anfang 2012 in Leipzig. Und fügte an: „Was ist geblieben von diesem Masur, der ein Träumer war? Gott sei Dank kein eingebildeter Künstler, der meint, dass er besser sei als andere. Gott sei Dank einer, der nichts an Glaubwürdigkeit verloren hat, von dem, was er sagte und sagen wollte.“