Über den Trauerfall (2)
Hier finden Sie ganz besondere Erinnerungen an Guido Westerwelle, wie z.B. Bilder von schönen Momenten, die Trauerrede oder die Lebensgeschichte.
Dem Verstorbenen die letzte Ehre erweisen
23.03.2016 um 12:22 Uhr von TrauerZwischen Donnerhall und Feinsinn
23.03.2016 um 12:16 Uhr von TrauerEr war immer einen Tick zu laut, er erging sich in immer neuen Zuspitzungen. Mit Leidenschaft hat Guido Westerwelle über ein Vierteljahrhundert Politik gemacht. Er verkörperte den neoliberalen Zeitgeist und führte die FDP zu ihrem größten Erfolg. Es war der Beginn seines politischen Niedergangs. Als Mensch blieb Westerwelle stets auf Distanz, sein Misstrauen hatte Gründe.
von Winfried Volz
Was konnte er lärmen: „Alle, die arbeiten, sind doch die Deppen der Nation!“, rief er 2008 beim Münchner Parteitag der FDP in den Saal, der so brodelte wie beim Politischen Aschermittwoch im Hacker-Pschorr-Keller. Westerwelle haute auf die Pauke, schwang sich mit markigen Worten auf zum Retter der Mittelschicht, die abkassiert werde, und zwar von den „Sozis“. Darunter verstand Westerwelle seinerzeit sowohl die Union als auch die SPD. Bei anderer Gelegenheit stellte sich Westerwelle den jubelnden Delegierten als „die letzte Freiheitsstatue“ vor. Sein fröhlicher Größenwahn machte gelegentlich sprachlos. Gerne malte der Erfinder des „Spaßwahlkampfs“ ein Bild von sich, das ihn als einen von Feinden umgebenen, aber standhaften Anführer zeigte, als Speerspitze im Kampf gegen eine linke Republik. Wenn der FDP-Politiker im Wahlkampfmodus war, dann gingen viele in Deckung. Er genoss es.
Guido Westerwelles Tod ist eine traurige Nachricht. Mit 54 Jahren hat er den Kampf gegen die Krankheit verloren. In mehr als einem Vierteljahrhundert war es ihm gelungen, den Lauf der Dinge in der deutschen Politik oftmals mit zu beeinflussen. Er hat die FDP groß gemacht und musste erschüttert miterleben, wie sie von den Wählern ins finstere Tal der außerparlamentarischen Opposition geschickt wurde. Ein kleiner Trost mag sein, dass er wenige Tage vor seinem Tod noch erfahren durfte, dass die FDP in einigen Landesparlamenten wieder Fuß gefasst hat.
Wo muss man beginnen, um das politische Leben des einstigen FDP-Generalsekretärs, Parteichefs, Kanzlerkandidaten, Vizekanzlers und Außenministers nachzuzeichnen? Vielleicht bei seinem Kampf für den Erhalt des Baumbestandes in der Bonner Poppelsdorfer Allee, wo in ihm als Jugendlicher erstmals in den Sinn gekommen war, dass man etwas tun muss, um etwas anderes zu verhindern. In den wenigen Zeugnissen, in denen Westerwelle über seine Jugend spricht, spielt auch die gescheiterte Ehe seiner Eltern eine große Rolle. Beide selbstständige Rechtsanwälte, stritten sie sich um das Sorgerecht, als Westerwelle neun Jahre alt war. Schließlich zog der Vater die vier Söhne auf, aber Westerwelle trug schwer an der Zerrissenheit der Familie, er war schlecht in der Schule, besann sich aber und machte am Ende doch sein Abitur. Später studierte er Jura und wurde Anwalt.
Disziplin ist seitdem die Tugend, die Westerwelle beherrschte. Aber in ihm steckte auch der Drang, sich selbst zu verwirklichen. Für seinen Biografen Majid Sattar verkörperte der Rheinländer die „Generation Ich“, die ihren Antrieb nicht – wie es die Achtundsechziger taten – aus einer Verpflichtung zur Gesellschaftsveränderung ableitet. Westerwelles Feindbild waren seit jener Zeit die Vertreter der linken Bürgerlichen, die in seiner Schule den Ton angaben. Bei der großen Demonstration 1981 im Bonner Hofgarten gegen die Stationierung von Pershing-Raketen war Westerwelle dabei, allerdings mit einer gegensätzlichen Mission: Er verteilte Flugblätter mit einem Plädoyer für die Stationierung. Diese Freiheit nahm er sich.
Bundespolitisch aktiv war Westerwelle seit den frühen 80er Jahren, als er die Führung der Jungen Liberalen übernahm. In der Wendezeit, als SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt den Liberalen immer fremder wurde, mobilisierte er die Parteijugend für Hans-Dietrich Genscher. Viele Sozialliberale gingen damals von der Fahne, sie fehlen der FDP bis heute. Damals verkörperte Westerwelle eine Generation, der jede historische Aufladung ihrer Politik fehlt. Erfolg war ihm stets wichtiger als Programmatik. Die Anhänger, die er auf diese Weise für die FDP gewann, höhlten die Partei gleichsam inhaltlich aus.
Bis 2004 machte Westerwelle seine Homosexualität nicht zu einem öffentlichen Thema. In der Öffentlichkeit dominierte bis dahin das Bild vom kühlen Techniker der Macht, der alles andere war, aber nicht er selbst. Erst beim 50. Geburtstag Angela Merkels brachte er seinen damaligen Lebenspartner und späteren Ehemann Michael Mronz mit. Dieser Schritt kostete ihn nach eigener Aussage viel Überwindung, denn er wusste, was hinter seinem Rücken – auch in liberalen Kreisen – getuschelt wurde. „Schwesterwelle“ zählte noch zu den harmlosen Formulierungen. Mronz sollte ihm als liebender und fürsorgender Partner in den schweren Phasen seiner Krebserkrankung und in der Stunde seines Todes an der Seite stehen.
Politisch startete Guido Westerwelle mit 33 Jahren durch. Als Generalsekretär macht er sich vor allem über die gerade aufkommenden Talkshows einen Namen. Und er übertrieb es auch gleich. So ließ er nichts unversucht, um an Popularität zu gewinnen, er stieg sogar in den „Big Brother“-Container und erkor 2002 auf seinen Schuhsohlen die 18 Prozent als FDP-Wahlziel. Das Projekt wurde zum Sinnbild für politische Maßlosigkeit. Immer wieder verfiel Westerwelle in Phasen grüblerischer Zerknirschtheit, sei es nach dem Todessprung seines Parteifreundes Jürgen Möllemann, sei es nach dem ersten großen Krach in der schwarz-gelben Koalition, als die FDP kurz vor Landtagswahlen in den Umfragen abgestürzt war. Stets gelang es Westerwelle, sich wieder aufzubauen, doch einen Fehler konnte er nicht mehr ausmerzen: Entgegen dem Rat vieler Parteifreunde hatte er 2009 nicht nach dem Finanzressort gegriffen, obwohl die FDP im Wahlkampf fast ausschließlich mit dem Versprechen einer Steuersenkung geworben hatte. Westerwelle wurde Außenminister, er wollte in Genschers Fußstapfen treten.
Doch die Rechnung, damit auch Genschers Beliebtheitswerte zu übernehmen, ging nicht auf. Der Wandel vom schrillen Einpeitscher zum umgänglichen Diplomaten, er wollte Westerwelle nicht gelingen. Viel lieber machte er Innenpolitik, kritisierte vehement den seiner Meinung nach ausufernden Sozialstaat, der zu „spätrömischer Dekadenz“ einlade. Nach anderthalb Jahren verlor die eigene Partei die Geduld. Westerwelle musste FDP-Vorsitz und Vizekanzlerposten abgeben. Nicht mehr aufhalten konnte er den Niedergang der FDP und das Ausscheiden aus dem Bundestag. Ein halbes Jahr nach seinem letzten Tag als Minister erhielt Westerwelle die Diagnose Leukämie. Sein Leben änderte sich radikal, und Westerwelle erfuhr so viel Mitgefühl, das ihm lange verwehrt worden war. Politik, einst Lebensinhalt, rückte in den Hintergrund. Bei einem seiner letzten Auftritte sagte er: „Für mich ist das weit weg. Und so lange her.“