Günter Grass

Günter Grass

* 16.10.1927 in Danzig, Freie Stadt Danzig
† 13.04.2015 in Lübeck, Deutschland
Erstellt von Trauer Portal
Angelegt am 31.03.2016
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Mahner, Trommler, Nörgler

31.03.2016 um 13:10 Uhr von Trauer

Die deutsche Literatur hat einen ihrer wichtigsten, zugleich aber auch einen ihrer umstrittensten Autoren verloren: Der  Nobelpreisträger Günter Grass starb im Alter von 87 Jahren in einem Lübecker Krankenhaus an einer Infektion.

 

Von Frank Pommer

 

Vor allem seine „Danziger Trilogie“ mit der „Blechtrommel“ gehört zur Weltliteratur des vergangenen Jahrhunderts. Das Spätwerk jedoch verursachte immer wieder Bauchschmerzen – und Schlimmeres. Zwei Texte desselben Autors – und doch ist da ein unüberbrückbarer Abgrund zwischen beiden: Hier die „Blechtrommel“ aus dem Jahr 1959, dort das israelkritische Gedicht „Was gesagt werden muss“ aus dem Jahr 2012, das für einen der letzten – und bewusst inszenierten – Skandale der deutschen Literaturszene gesorgt hat. Man verübelte Günter Grass seine scharfe Kritik am Staat Israel, und hätte doch vor allem seine in diesem Falle skandalös schlechte Lyrik kritisieren müssen. Selten hat ein Schriftsteller so früh schon das Niveau von Weltliteratur erreicht – um sich danach auf einen stetigen Weg des Abstiegs zu machen, an dessen Ende ein knurrender Nörgler stand, der irgendwann nur noch nervte und von keinem mehr wirklich ernst genommen wurde. Das hat durchaus Züge von Tragik und Tragikomik. Günter Grass hat sich Zeit seines Lebens an der deutschen Geschichte abgearbeitet. Immer wieder am Zweiten Weltkrieg, nicht nur mit der bereits erwähnten „Danziger Trilogie“, sondern auch mit „Im Krebsgang“, einer Novelle, die den Untergang des Flüchtlingsschiffes Wilhelm Gustloff schildert; aber auch der Dreißigjährige Krieg war ein Thema (in „Das Treffen in Telgte“ aus dem Jahr 1979) für Grass, und selbstverständlich hat er auch einen literarischen Kommentar zur deutschen Wiedervereinigung abgegeben. 1995 erschien der Fontane-Roman „Ein weites Feld“, der von der Kritik nachgerade vernichtet wurde. Grass antwortete mit einer Art Lebens- und Schaffensfazit: „Mein Jahrhundert“, 1999 erschienen, wagt den Rückblick auf das 20. Jahrhundert in 100 kurzen Erzählungen. Ein maßloser Anspruch, dessen Hybris sich schon in dem Possessivpronomen „mein“ äußert. Dies genau war das Problem des alternden Grass, dass er tatsächlich glaubte, es sei „sein“ Jahrhundert gewesen. Was auf diesen Rückblick folgte, seine Texte des 21. Jahrhunderts, sind ein literarisches Rückzugsgefecht, das in vielen Augenblicken eines Nobelpreisträgers unwürdig war.

 

Es ist die Heimatlosigkeit, der Heimat-Verlust, der in dem Werk von Günter Grass wie ein machtvoller kreativer Impuls wirkt. Ein typisch deutsches Thema auch dies, ein Thema, das mindestens ebenso so sehr Trauma wie Obsession für Grass war. Aber immerhin doch ein Thema, das er bearbeiten, beackern konnte. Die Trauer um die verlorene Heimat Danzig, wo er am 16. Oktober 1927 zur Welt gekommen war, treibt ihn an, ist die Initialzündung für die „Blechtrommel“ und zahlreiche weitere Werke. Je mehr der Schriftsteller in seiner zweiten Heimat Lübeck ankommt, desto schmerzhafter vermisst man diesen Impuls.

 

Irgendwann nämlich nimmt die Eitelkeit überhand. Grass schreibt nur noch von sich selbst, nur noch über sich, nie mehr von sich weg. In seiner Autobiografie „Beim Häuten der Zwiebel“ versucht er 2006 im lapidaren Nebenbei zu erklären, warum ausgerechnet er, der selbsternannte Moralapostel der deutschen Literatur, in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs der Waffen-SS in die Arme lief. Das Buch schildert vordergründig das Grauen des Krieges, eigentlich geht es aber nur um den Autor selbst. Günter Grass rennt quasi ständig an die Kerkerwände seines Ich-Gefängnisses an. Alles, auch die größte Katastrophe der deutschen Geschichte, bezieht er nur noch auf sich selbst. Er wird zum böse grummelnden, mitunter abwegig argumentierenden, manchmal sogar die falschen Geister wachrufenden Alt-Schriftsteller, dem eine Eigenschaft leider immer abging: Altersweise oder gar altersmilde wurde er nie. 

 

Grass war einer, der sich gern in der Rolle des Aufklärers sah, als Mahner und Warner. Als Trommler, der wachrütteln, aufwecken wollte. In der Poetenwohnung im Elfenbeinturm fiel ihm gleichsam die Decke auf den Kopf. Grass wollte wirken, eingreifen, mitgestalten. Immer wieder, vor allem an der Seite von Willy Brandt, hat Grass Wahlkampf für die SPD gemacht, zugleich ist er aber auch keiner Auseinandersetzung mit den Genossen aus dem Weg gegangen. Hier glaubte einer an das Potenzial der Kunst, eingreifen zu können in die Wirklichkeit. Seine literarisch besten Texte sind eben nicht nur autobiografisch motiviert und als solche poetische Aufarbeitungen persönlicher Traumata; sie sind auch als Kommentare zu ihrer Entstehungszeit zu verstehen: etwa die düstere und unheimliche Weltuntergangsfantasie der „Rättin“, die 1986 als machtvoll warnende Stimme den feisten Optimismus, die Aufbruchsstimmung der frühen Ära Kohl konterkarierte; oder jenes „Weite Feld“, das einige Misstöne in die Jubelchöre des Wiedervereinigungs-Taumels einstreute.

 

Doch irgendwann ist da nichts anderes mehr. Keine Geschichte, keine Geschichten. Nur noch Grass. Der Nörgler aus Lübeck. Der Künstler, der meint, die Welt verbessern zu können, nach eigenen Vorstellungen verbessern zu müssen, dabei jedoch die Kunst so ganz und gar vergisst. Was bleibt, ist platte Gesinnungsprosa. Ein quengelnder alter Mann mit Pfeife aus dem Norden.   

 

Und über so einen sagt die Kulturstaatsministerin Monika Grütters: „Günter Grass war ein Weltliterat. Sein literarisches Vermächtnis wird neben dem von Goethe stehen.“ Mit Recht. Denn so schlecht konnte Grass in seinem Spätwerk gar nicht schreiben, als dass er sich selbst seinen mit dem Frühwerk eroberten Platz im Olymp der Weltliteratur hätte streitig machen können. Immer wieder muss man die „Blechtrommel“ nennen, diesen Schelmenroman in der besten Tradition eines Grimmelshausen mit seinem „Simplicius Simplicissimus“ oder auch eines Jaroslav Hašek mit seinem „Braven Soldaten Schwejk“. Diese „Blechtrommel“, deren Verfilmung durch Volker Schlöndorff mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, gehört nicht nur zu den wichtigsten Texten des 20. Jahrhunderts, sie markiert zugleich auch Wendepunkt und Neustart der deutschen Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Epoche der unmittelbaren Nachkriegszeit, die von der Gruppe 47 bestimmt worden war, zu der auch Grass zeitweise gehörte, wird darin überwunden (wie auch im Werk des ebenso mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Heinrich Böll). Die durch die NS-Gräuel korrumpierte und diskreditierte deutsche Literatur wird wieder aufgenommen in den Kreis der Weltliteraturen. Das war und bleibt auch das Verdienst des konsequenten und unbequemen Humanisten Günter Grass.

Da hat die Kulturstaatsministerin tatsächlich nicht übertrieben. 

Günter Grass' Grabstätte

31.03.2016 um 12:56 Uhr von Trauer
Foto Günter Grass' Grabstätte für Günter Grass

Gedenkkerze

Trauer & Gedenken

Entzündet am 31.03.2016 um 12:41 Uhr