Lothar Späth

Lothar Späth

* 16.11.1937 in Sigmaringen, Deutschland
† 18.03.2016

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18.03.2016 um 14:32 Uhr von Trauer
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Politiker, Aufbauhelfer und Strippenzieher

18.03.2016 um 14:26 Uhr von Trauer

Baden-Württemberg trauert um Lothar Späth. Der ehemalige Ministerpräsident, der sich krankheitshalber Ende 2013 völlig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, ist gestern im Alter von 78 Jahren gestorben.

 

Von Bettina Wieselmann

 

Er wird es, wie so vieles zuletzt, nicht mitbekommen haben, aber gefreut hätte ihn die späte versöhnliche, parteiübergreifende Wertschätzung: Am 15. Oktober 2014 war Lothar Späth plötzlich noch einmal präsent im Landtag. Mit Beifall reagierten die Abgeordneten aller Fraktionen, als Ministerpräsident Winfried Kretschmann in seiner Rede über die Chancen der Digitalisierung an den nach zwölfeinhalb Jahren 1991 wenig rühmlich aus dem Amt geschiedenen Ex-Regierungschef erinnerte. Dem Christdemokraten Späth gebühre „großer Respekt und Dank“ für seine Verdienste, sagte der Grüne. Er habe in seiner Amtszeit „wichtige Impulse gesetzt, um unser Land zukunftsfähig zu halten.“

 

Die Erkenntnis, dass Stillstand Rückschritt bedeutet, war für den fortschrittsgläubigen, rastlosen Lothar Späth Zeit seines Wirkens in Politik wie Wirtschaft wichtigste Triebfeder. Als andere bei Chips noch an Knabberzeug dachten, kaufte der Hightech-besessene Landespolitiker bei einem Besuch in den USA 1985 kurz entschlossen den schnellsten Rechner der Welt. Das Gebrumme im düpierten Landtag war erst groß. Doch seit der 48 Millionen Mark teuren Investition zählt die Ingenieurstadt Stuttgart in Europa zu den äußerst gesuchten Standorten mit einem stets modernisierten Höchstleistungsrechner.

 

„Schnell“ ist das treffendste Attribut, das man mit dem rasch aufgestiegenen, geschwind kommunizierenden, hochvernetzten Lothar Späth (im Volksmund durchaus respektvoll „Cleverle“ genannt) verbunden hat. „Dass er schneller reden kann als andere denken können, und zwar so, dass das, was er sagt, irgendwie Hand und Fuß hat“, war auch seinem Parteifreund Manfred Rommel aufgegangen.

 

Ihn hatte der machtbewusste, noch nicht einmal 40-jährige Späth 1978 beim Kampf um die Nachfolge des zurückgetretenen Ministerpräsidenten Hans Karl Filbinger für viele überraschend ausgestochen. Auf den gravitätisch katholisch regierenden Ex-Marinerichter, den Späth schon während seiner Zeit als CDU-Fraktionschef keck herausgefordert hatte, folgte ein fröhlicher Protestant: modern, unideologisch, quirlig, auch sprunghaft, weil allem Neuen aufgeschlossen. Bald schon war Lothar Späth ein ungemein populärer, weil bürgernaher Regierungschef, zu dem das behäbige Landesvater-Etikett schon altersmäßig nicht passte. 

 

Acht Jahre später konnte sich Rommel übrigens revanchieren, als er die von Späth herbeigezwungene Bankenfusion im letzten Moment platzen ließ. Der im Wesentlichen gedeihlichen Zusammenarbeit der langjährigen Chefs von Land und Landeshauptstadt tat beides letztlich keinen Abbruch. 

 

Schnell konnte sich Späth begeistern. Am liebsten für eigene Ideen, die durch enge Verquickung von Wissenschaft und Wirtschaft das Land an die Spitze bringen und dort halten sollten: Technologietransfer, Wissenschaftsstadt Ulm, Berufsakademien, Fachhochschul- und Institutsgründungen – viele Projekte sind erfolgreich umgesetzt worden.

In manchem war Späth seiner Zeit voraus, so als er, die Demografieproblematik früh begreifend, Seniorengenossenschaften in einer Bürgergesellschaft anregte: rüstige Ruheständler helfen Älteren, was wiederum ihnen im Alter mit Hilfe entgolten wird.

 

Oder als er nach attraktiven weichen Standortfaktoren suchend die Parole ausgab: „Hinter Hightech müssen wir Kultur schalten.“ Mit dem Staatstheater-Intendanten Wolfgang Gönnenwein etablierte Späth in Personalunion einen Staatsrat für Kultur, am beleidigten Kunstminister vorbei. Das Karlsruher ZKM und die Akademie Schloss Solitude wurden gegründet. Der Technik-Fan fand in dieser Zeit selbst Freude an Kultur, wurde Bildersammler, freundete sich mit vielen Künstlern an. 

 

Wenn Späth nicht nach der Methode „Verwaltungsnapoleon, der Zettel aus der Kutsche wirft“ (Rommel) durchkam, sondern dickere Bretter bohren musste, klappte manches auch nicht: Ob die Fusion von Banken, Rundfunk oder Energieversorgern, diese Erfolge verbuchte erst Nachfolger Erwin Teufel. An der groß angekündigten Nullverschuldung verlor Späth so schnell die Lust wie am extra gutachterlich abgesicherten Plan, tausende Krankenhausbetten abzubauen: „Ich zünde doch nicht überall Feuer an!“ Auch sein Versuch, die Staatsverwaltung so zu reformieren, dass die Instrumente besser zu den Aufgaben passten, scheiterte. 

 

Je länger er (und das immer mit absoluter Mehrheit) regierte, desto mehr stieß sich Späth an vermeintlichen oder auch wirklichen bürokratischen Bedenkenträgern. Prinz Eugens Wahlspruch: „Man kann, wenn man will“, soll er sich noch auf dem Gymnasium zueigen gemacht haben. Das hatte der Sohn eines Lagerverwalters mit der mittleren Reife verlassen, um später die kommunale Bodenhaftung vermittelnde württembergische Inspektorenlaufbahn zu absolvieren und im Rathaus in Bietigheim bis zum Finanzbürgermeister aufzusteigen. Da war er erst 29 und hatte sich längst über die Stadtgrenzen hinaus einen Ruf als dynamischer Manager der städtischen Wohnungsbaugesellschaft erworben. 1970 machte die Neue Heimat den inzwischen zum Bietigheimer Landtagsabgeordneten gewählten Späth zum Geschäftsführer in Stuttgart und Vorstandsmitglied in Hamburg. Als der Skandal um den gewerkschaftseigenen Wohnungsbaukonzern aufschlug, hatte Späth längst die Firma gewechselt. 

 

Dass der unkonventionelle Schnellmerker mit der feinen Witterung für Themen und Probleme kein Gespür für den schmalen Grat hatte, der Politik und Geschäft, Öffentliches und Privates trennt, wurde erst Ende 1990 mit der Traumschiff-Affäre publik, die zu seinem Rücktritt im Januar 1991 führte. Hunderte privat und dienstlich unternommene Flüge und diverse Ferienreisen hatte sich Späth von Firmen sponsern lassen. Hängen blieb „nur“ der böse Schein, sich in Abhängigkeiten gebracht zu haben. „Ich habe Politik immer unternehmerisch zum Wohl des Landes verstanden“, verteidigte sich der lange zuvor schon als „Chef der Baden-Württemberg AG“ titulierte Späth. Verbittert gab er einer angeblich bloß kampagnengierigen Presse die Schuld an seinem Abgang. 

 

Nicht zuletzt jenen Hamburger Medien, denen es gefallen hatte, Späth Ende der 80er Jahre zum Reservekanzler hochzuschreiben, weil ihnen der als bräsig empfundene Kanzler Kohl zu provinziell erschien. Wie anders dagegen der weltgewandte Späth, der in der Großen Halle des Volkes in Peking vor 500 Spitzenbeamten über Technologietransfer reden durfte, mit Frankreichs Präsident über die Nachrüstung parlierte oder in Washington US-Präsident Ronald Reagan in seinen Plänen für den Raketenabwehrschirm SDI unterstützte. Als es freilich zum Schwur kam und Späth – zunächst unterstützt von Heiner Geißler, Norbert Blüm und Rita Süßmuth – in Bremen 1989 den CDU-Parteivorsitzenden Kohl kippen sollte, zuckte auch er im letzten Moment zurück. 

 

Umso beherzter griff er zu, als sich schon im Juni 1991 ein Comeback für den Wirtschaftspolitiker auftat: Späth wurde Spitzenmanager in Jena, wo er das ehemalige DDR-Kombinat Zeiss Jena mit vielen Steuermilliarden zum Optoelektronikkonzern Jenoptik umzubauen half. Dabei verbreitete er eine ungeheure Aufbruchstimmung trotz drastischen Personalabbaus. Längst war Späth wieder da, moderierte nebenbei eine Talkshow und dozierte als Honorarprofessor an der Universität Jena über „Medien und Zeitdiagnostik“. Der glücklose CSU-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber holte Späth 2002 als Superminister in spe in sein Team. 2005 machte ihn die Investbank Merill Lynch zum Chef ihrer Dependancen in Deutschland und Österreich. „Ich hab“ in meinem Berufsleben mehr Zeit in der Wirtschaft als in der Politik zugebracht“, resümierte er 2011 zufrieden. 

 

Viel Zeit, um sich intensiv mit seinen acht Enkeln zu befassen, hatte der notorische Unruhestifter, als der Späth sich selbst gern sah, im spät gewählten Ruhestand nicht mehr. Im Frühjahr 2014 trennten sich die Eheleute. Späth blieb zunächst, umsorgt von Pflegekräften, in seinem Haus in Gerlingen zurück. Im Sommer 2015 zog er in ein Pflegeheim in Stuttgart-Möhringen, wo er jetzt starb.

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